Heribert Prantls Aufruf: „Es ist Zeit für eine Entfesselung der Justiz !“

Videobotschaft: Staatsanwaltschaft in Deutschland: Ungute Abhängigkeiten

2023-01-15 17:15 Uhr
Erstveröffentlichung 2023-01-07 17:31 Uhr

Ein ungehörter Appell eines kritischen Juristen und Publizisten ? Foto: Heiderose Manthey.


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München.
Prof. Dr. Heribert Prantl¹ studiert Recht, Geschichte und Philosophie, promoviert nach seiner journalistischen Ausbildung im Urheber- und Wettbewerbsrecht. In Bayern ist er als Richter und Staatsanwalt tätig, bevor er als rechtspolitischer Redakteur zur Süddeutschen Zeitung geht. Dort ist er 25 Jahre lang Leiter des Ressorts Innenpolitik. Jetzt lehrt er als Honorarprofessor für Rechtswissenschaft an der Universität Bielefeld.

Für zahlreiche Publikationen erhält Prantl mehrere Preise. Für sein erstes Buch „Deutschland, leicht entflammbar“ wird er mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet.

Was Prantl für ARCHEVIVA interessant macht, sind seine Wort in dem Video² Staatsanwaltschaft in Deutschland: Ungute Abhängigkeiten.

Über die Weisungsabhängigkeit der Staatsanwaltschaft

Prantl wörtlich: „Es gibt Dinge, die es eigentlich nicht gibt, die es eigentlich nicht geben darf, die es aber trotzdem gibt, die sogar in einem Gesetz stehen. Obwohl das in einem demokratischen Rechtsstaat, der auf Gewaltenteilung aufgebaut ist, eigentlich pervers ist. Dazu gehört die Weisungsabhängigkeit der Staatsanwaltschaft.

Heribert Prantl mit freundlicher Genehmigung. Foto: Sven Simon.

Die steht im Gerichtsverfassungsgesetz, einem Gesetz, das 140 Jahre³ alt ist und das immer noch gilt. Dort ist die Abhängigkeit der Staatsanwälte von den Weisungen der Landesjustizminister festgeschrieben. Die Landesjustizminister können die Staatsanwaltschaften anweisen, Ermittlungen langsamer oder gar nicht oder schneller zu betreiben. Das ist ein untragbarer Zustand !

Die Justiz ist unabhängig, so steht es im Grundgesetz, aber die Staatsanwaltschaft ist es nicht.

Kritik an diesem unerträglichen Zustand wird von der Politik abgewendet, mit dem Hinweis, dass solche Weisungen an die Staatsanwaltschaft im Alltag höchst selten seien.
Auch dann ist es schlimm genug. Warum macht es Sinn, dies ja dann gerade die heiklen Verfahren auf die es ankommt. Der Deutsche Richterbund, in dem eine Vielzahl der Deutschen Richterinnen und Richter und Staatsanwältinnen und Staatsanwälte organisiert sind, hat soeben wieder einmal die Abschaffung dieses Weisungsrechts gefordert.

Er kann sich dabei stützen auf den Europäischen Gerichtshof und auf die Europäische Kommission. Der Europäische Gerichtshof hat vor einem guten Jahr in einem spektakulären Urteil es den Deutschen Staatsanwaltschaften wegen ihrer Weisungsabhängigkeit verboten, Europäische Haftbefehle auszustellen.

Die politische Weisungsgebundenheit ist ein Geburtsfehler der Deutschen Staatsanwaltschaft.

Sie verdankt ihr Leben dem Bedürfnis der Regierung, sich jederzeit Einfluss auf die Strafrechtspflege zu verschaffen. So hat dies die Juristenzeitung schon in der Weimarer Zeit geschrieben.

Als dies im Gerichtsverfassungsgesetz vor 140 Jahren so festgelegt wurde, war und galt die Staatsanwaltschaft als die Kavallerie der Justiz, damals gab es ja noch die Truppe zu Pferde. Aber gleichwohl ist das Bild bis heute richtig, weil der Staatsanwaltschaft von der Politik die Zügel angelegt werden können.

Damit ist Deutschland ein schlechtes Vorbild, ein schlechtes Vorbild in Europa. Es können sich Staaten, die den Rechtsstaat nicht achten wie Ungarn oder Polen, auf das Deutsche Beispiel berufen und darauf hinweisen, auch dort ist ja der Einfluss der Politik auf die Staatsanwaltschaft, auf die Justiz massiv. 

Das muss schnell geändert werden !

Es geht darum, das System Justiz neu zu konstruieren. Dazu gehört im Übrigen auch die bisherige Verwaltungsabhängigkeit der Gerichte. Die Gerichte werden vom Landesjustizministerium organisiert. An dessen Stelle muss künftig eine Selbstverwaltung treten. Die gesamte Justiz, die Gerichte und die Staatsanwaltschaften müssen sich selber organisieren.

Es ist Zeit für eine Entfesselung der Justiz.“



¹Quelle: https://www.sueddeutsche.de/autoren/heribert-prantl-1.1148378
²Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=yp1FsxKT6nw – 4.020 Aufrufe, hochgeladen am 20.10.2020, Videoredaktion Christian Jocher-Wiltschka und Julia Fuhr Mann
³Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Gerichtsverfassungsgesetz
Wörtlich: „Das Gerichtsverfassungsgesetz wurde als erste einheitliche Gerichtsverfassung des Deutschen Reiches 1877 begründet.[1]

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Gesetzestexte zu Gerichtsverfassungsgesetz – 10. Titel – Staatsanwaltschaft (§§ 141 – 152) lt. dejure.org

 

Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen.

Das Recht der Aufsicht und Leitung steht zu:

  1. dem Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz hinsichtlich des Generalbundesanwalts und der Bundesanwälte;
  2. der Landesjustizverwaltung hinsichtlich aller staatsanwaltschaftlichen Beamten des betreffenden Landes;
  3. dem ersten Beamten der Staatsanwaltschaft bei den Oberlandesgerichten und den Landgerichten hinsichtlich aller Beamten der Staatsanwaltschaft ihres Bezirks.

Aus ARD-Themenwoche „Gerechtigkeit | tagesschau24“³:

Gerichtsverfassungsgesetz von 1877 bis heute gültig

„Thomas Hauswald untersucht die Rolle der Richter, Staatsanwälte und der Polizei in einem Justizsystem, das immer noch nach dem Gerichtsverfassungsgesetz von 1877 organisiert ist.“

Keine Gewaltenteilung in Deutschland

„Deutschland hat faktisch keine Gewaltenteilung wie in vielen anderen Ländern Europas, die Staatsanwälte sind dem Justizministerium weisungsgebunden unterstellt und die Richter werden durch Einstellung, Beförderung und Beurteilung vom Justizministerium gesteuert. Die Unterordnung der dritten Gewalt, der Judikative, unter die zweite Gewalt, die Exekutive, wäre ein Problem, wenn sich die Zeiten von stabilen politischen Verhältnissen ändern. Eine Regierung könnte über die Staatsanwaltschaft beeinflussen, gegen wen ermittelt wird und durch die Auswahl von Richtern tendenziell Einfluss auf die Verurteilung nehmen. Dieses Szenario ist im Rahmen der heute gültigen Strukturen und Gesetze möglich.“

Einseitige Ermittlungen

„Der Europarat hat Deutschland aufgerufen, diese Strukturen zu ändern. DokThema geht der Frage nach, warum die Politiker die drohende Gefahr für die Zukunft nicht erkennen wollen und zeigt, welche psychologischen Faktoren bei Polizisten, Staatsanwälten und Richtern bereits heute zu einseitigen Ermittlungen führen.“



³Quelle: https://programm.ard.de/TV/tagesschau24/Startseite/?sendung=28721972088763&fbclid=IwAR0Q4ofaD1d71ERTMQhQcCnBvBdL3OODQdhmiNxLXhNL9jJJVaGHW5D9OmA

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