Bedeutet Parental Alienation Folter ?

UN-Aufruf „Submission on psychological torture and ill-treatment“

Überlegungen von Prof. Dr. Gerhard Kehrer

2019-11-22

Gerhard Kehrer: „Bei PA liegt also nicht einfach ein Verlust eines Elternteils vor, den es durch das Kind in einer Art Trauerarbeit zu bewältigen gilt, sondern ein Elternteil wird vehement und anhaltend zurückgewiesen, und zwar nicht nur seine Person, sondern oft werden auch seine Eigenschaften und Wesensmerkmale Objekt heftiger Ablehnung.“ Foto: Heiderose Manthey.

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Keltern. Bis zum 25. November 2019 besteht die Möglichkeit sich an dem UN-Projekt zur Aufklärung von Weißer Folter, sprich psychische Folter und Misshandlung, zu beteiligen. Prof. Gerhard Kehrer hat ein paar Überlegungen darüber angestellt, was Parental Alienation mit Weißer Folter zu tun hat.

Parental Alienation eine nie enden wollende Qual

Im Gegensatz zu einer erniedrigenden Behandlung oder Strafe handelt es sich bei Parental Alienation (PA) um eine für die Betroffenen nie enden wollende, bewusst intendierte seelische Qual. Während Trauer nach dem Verlust eines lieben Angehörigen in der Regel allmählich nachlässt und einer dankbaren Erinnerung Platz macht, geht bei PA das Leid bei den Betroffenen weiter, auch da man weiß, dass Abhilfe möglich wäre.

Bei PA liegt also nicht einfach ein Verlust eines Elternteils vor, den es durch das Kind in einer Art Trauerarbeit zu bewältigen gilt, sondern ein Elternteil (in den USA Mutter oder Vater gleich häufig) wird vehement und anhaltend zurückgewiesen, und zwar nicht nur seine Person, sondern oft werden auch seine Eigenschaften und Wesensmerkmale Objekt heftiger Ablehnung. Da die Kinder aber wissen, dass sie zur Hälfte zumindest die biologischen Eigenschaften des abgelehnten Elternteils geerbt haben, kann es sogar vorkommen, dass Kinder auffallend gleiche Wesensmerkmale zu verbergen trachten oder, wie Frau Amy Baker in einem Vortrag auf einem Kongress von einem ihrer Fälle berichtete, sogar versuchen, solche gemeinsame Merkmale wie auffallend abstehende Ohren in einer Art Selbstverstümmelung wegzubrennen.

Störung der Gesundheitsentwicklung

Die Kinder werden in eine Rollenumkehr-Beziehung mit dem entfremdenden Elternteil gezwungen, indem sie von diesem als äußeres „regulatorisches Objekt“ benutzt werden (z.B. Childress, Foundations, Oaksong Press 2015). Dadurch wird eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung zusätzlich massiv gestört. Anders als im Regelfall Heimkinder verleugnen Kinder unter Elternentfremdung in ihrer Not ein „halbes, falsches Ich“ oder spalten es psychisch ab, was alleine schon eine schwere Persönlichkeitsstörung bewirkt.

Eine weitere Besonderheit von Parental Alienation hat dramatische Folgen. Parental Alienation ist „zutiefst kontraintuitiv“ (Miller), so dass Parental Alienation fast regelhaft verkannt wird. Wer, wie bei uns üblich, sich auf seine Intuition verlässt und vielleicht noch der Hybrid-Hypothese anhängt, wonach bei zwei streitenden Personen das Recht nie nur auf einer Seite liegt (hierzu auch Linda Gottlieb), kommt nicht nur zu falschen Schlussfolgerungen, sondern verschlimmert alles nur noch.

Steven Miller meinte hierzu in Philadelphia in seinem Vortrag mit dem Titel „WHEN DISCUSSING PARENTAL ALIENATION, WHY DO SOME PEOPLE HAVE GREAT CONFIDENCE IN THEIR INCORRECT CONCLUSIONS?: „Cases of severe alienation are likely to be highly counterintuitive. Clinicians who attempt to manage them without adequate skills are likely to find themselves presiding over a cascade of clinical and psychosocial disasters“.

Psychisches Trauma: Ablehnung eines Elternteils trotz enger Bindung

Man versteht PA vielleicht noch besser, wenn man den Bindungsaspekt betrachtet. Spätestens seit Konrad Lorenz wissen wir, dass es evolutionsbedingt bei sehr vielen Tieren wie auch beim Menschen eine enge Bindung zwischen Eltern- und ihren Jungtieren gibt. Das mag erklären, dass selbst bei sexuellem Missbrauch in der Familie Kinder meistens dennoch lieber in der Familie beim Täter bleiben als zu Pflegeeltern oder ins Heim zu gehen.

Entfremdete Kinder nach Scheidung lehnen hingegen trotz der evolutionsbedingt festen Bindung an beide Eltern vehement den Kontakt zu einem Elternteil ab, obgleich der keinerlei adäquaten Anlass für ein solches Verhalten gegeben hatte. Dies macht deutlich, wie groß das psychische Trauma ist und man versteht, dass psychotherapeutisch erfahrene Fachleute das psychische Trauma bei solchen Kindern für größer erachten als nach sexuellem Missbrauch.

Falsche Vorwürfe und inkompetentes Verhalten der Professionen führen zur vollständigen Entfremdung

Die entfremdeten Eltern sind regelmäßig erheblichen Anklagen ausgesetzt. Der Unterzeichner kämpfte gegen Betrugsvorwürfe vor Gericht, welche die Beschäftigung als Chefarzt gefährden sollten oder gegen den Vorwurf versuchter Kindesentführung. Vor allem in Deutschland werden Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs vom entfremdenden Elternteil zunehmend gern erhoben, die dann dazu führen, dass der betroffene Elternteil vom Kontakt mit dem Kind abgeschnitten wird, bis die Vorwürfe geklärt sind. Und eine solche Klärung ist insbesondere bei inkompetenten Gutachtern und angesichts der kontraintuitiven Natur der elterlichen Entfremdung (S. Miller) oft sehr langwierig oder führt zu falschen Ergebnissen, oft zumindest zu einer vollständigen zwischenzeitlichen Entfremdung.

Gerade gestern berichtete mir ein von solchen Vorwürfen betroffener Vater, wie sehr ihn die gegen ihn erhobenen Missbrauchs-Vorwürfe belasten und dass er sich scheut darüber öffentlich zu berichten, weil er befürchtet, dass immer etwas „hängen bleibt“ (semper aliquid haeret). Daher getraut er sich nicht, Ihnen seinen Fall vorzustellen.

Es gibt kaum ein Entrinnen für beschuldigte Eltern

Derartigen Vorwürfen können die angeschuldigten Eltern infolge der ihnen aufgezwungenen Rolle eines „targeted parent“ kaum entrinnen (Karen Woodall, Nick Woodall: Understanding Parental Alienation. Learning to Cope, Helping to Heal, Charles C Thomas, Publisher, 2017).

Zudem erhöht es den Leidensdruck der betroffenen Eltern, dass kaum jemand sie versteht, weil eine schwere „Pluralistische Ignoranz“ gegenüber diesem Thema besteht. Über einen sonst üblichen „Zuschauereffekt“ oder Bystandertum hinaus sind Justiz und Gesellschaft in Deutschland teilweise zu Mittätern geworden. Rechtsbeugungen, Nicht-Beachtung von Gesetzen (siehe eingereichte Publikationen, Petitionen) und eine nahezu vollständige Nichtbeachtung von Informationen an die Medien, Intellektuelle und Schriftsteller sind Standard. Einzelne Anwaltskanzleien instruieren ihre Mandantschaft sogar per Internet, wie man den Ex-Partner und Elternteil am besten vor Gericht austrickst, wenn es um seinen Wunsch nach einer Beteiligung an der Kindererziehung geht.

Auch die vor über einem Jahr an den Deutschen Bundestag eingereichten Petitionen des Unterzeichners wurden bislang keiner einzigen inhaltlichen Antwort gewürdigt. Stattdessen hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz in seinen jährlichen Broschüren „Kindschaftsrecht“ ab 2017 Parental Alienation nicht mehr erwähnt, während das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) eine Broschüre auf seiner Internetseite (VAMV Alleinerziehend 2019 – S. 48) veröffentlicht, wo PA (Parental Alienation) negative Erwähnung findet.

Ärzteleitfaden korrigiert sich

Ebenso negativ ist auch die Entwicklung im Ärzteleitfaden Bayern 2012 – Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. In der immer noch aktuellen Ausgabe Ärzteleitfaden Bayern 2012 wird PA auf S. 111 positiv erwähnt. Später wurde diese positive PA-Erwähnung online korrigiert und die Existenz eines Eltern-Entfremdungssyndroms negiert.

Mittlerweile kann es aber keine vernünftigen Zweifel mehr an der Existenz von Parental Alienation geben, so dass selbst im neuen ICD-11 Parental Alienation im Index rubriziert ist, von wo aus man auf Kapitel QE 52.0 (Caregiver-Child-Relationship-Problems) verwiesen wird.

Die Parental-Alination-Study-Group (PASG) hat unter ihrem Vorsitzenden Prof. William Bernet, Direktor em. der Klinik für Psychiatrie der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee eine Database zusammengestellt, deren etwa 1700 Publikationen an der Existenz eines Parental Alienation Syndroms keine berechtigten Zweifel mehr zulassen. Zudem kann man sich auf der Video-Seite der PASG umfassend über den aktuellen Stand der Forschung auf dem Gebiet der Parental Alienation informieren. Danach kann auch kein Zweifel mehr an einer schweren psychischen Kindesmisshandlung durch Parental Alienation bestehen.

Parental Alienation führt zu psychischen und neurologischen Problemen bis hin zu Suizid

Trotz alledem und trotz juristischer Fachpublikationen und eindeutiger Strafrechtskommentare (Beck-Online Strafrechtskommentar 2018 zu § 13 StGB) wird Parental Alienation in Deutschland totgeschwiegen und die Betroffenen werden gleich verrückten Zeitgenossen ignoriert, deren „Handicap“ man aus Rücksicht nicht zur Kenntnis nehmen sollte. Diese Behandlung führt bei vielen Betroffenen zusätzlich zu gravierenden psychischen bis hin zu manifesten neurologischen Problemen und leider auch zu vielen Suiziden. Wegen der wiederum ausbleibenden Berichterstattung über Suizide in den Medien „zur Vermeidung von Nachahmungstaten“ sind keine genauen Zahlen bekannt. Nach Berichten auf der jüngsten Jahrestagung der PASG in Philadelphia im September 2019 soll in Ländern wie Großbritannien alle 1-2 Wochen ein Kind wegen Parental Alienation zu Tode kommen (sei es durch Tötung oder durch Suizid).

Es gäbe zum Thema Parental Alienation noch viel zu sagen. Gerne stehe ich daher für Fragen und Informationen jeglicher Art zur Verfügung.